Blick nach Ansbach: Der Student Robert Limpert wurde vor Einmarsch der Amerikaner gehängt. Ein Lehrer eignete sich dessen Widerstandstaten an und machte Karriere

Prof. Dr. Karl Bosl

Er hat sich mit fremden Federn geschmück: Prof. Dr. Karl Bosl

Von Wolf Stegemann

Der 1908 in Cham (Oberpfalz) geborene Karl Bosl behauptete bis zu seinem Tod im Jahre 1993 in zahlreichen Interviews, dass er ein aktiver Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime gewesen sei. Das war nicht nur gelogen, sondern der Gymnasiallehrer in Ansbach und spätere angesehene Professor verheimlichte auch seine frühe Mitgliedschaft in der NSDAP ab 1933 und in der SA. In einem von Karl N. Renner geführten Interview des Projekts „Zeitzeugen zur bayerischen Geschichte“ vom 11. Juli 1990 bleibt Bosls NS-Engagement unerwähnt. Bosl behauptete darin, dass er aus „politischen Gründen“ 1944 keine Ernennung zum Privatdozenten bekommen hätte und er, Bosl, mit Hilfe selbstverfasster Flugblätter aktiv Propaganda gegen das Dritte Reich betrieben habe. Beides war falsch.

Der Studienrat diente sich dem Nationalsozialismus an

Karl Bosl promovierte 1938 und erhielt 1939 einen Forschungsauftrag im Rahmen des SS-Ahnenerbeprojekts „Forschungswerk Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte“. Seit 1940 war er als Studienrat am humanistischen Gymnasium in Ansbach tätig und versuchte von dort, seine Habilitationsschrift in der Veröffentlichungsreihe „Ahnenerbe“ unterzubringen. 1944 wurde er in München habilitiert. Allerdings verhinderten die Kriegszustände den Status eines Privatdozenten und nicht, wie er behauptete, seine Ablehnung des NS-Regimes. Daher stufte die Spruchkammer Ansbach-Stadt den Gymnasiallehrer Karl Bosl, mittlerweile wieder im öffentlichen Dienst, im Entnazifizierungsverfahren am 24. März 1948 als „entlastet“ ein. Seiner weiteren internationalen Karriere mit Titeln, Funktionen und Orden stand somit nichts mehr im Weg.

Polizei vor dem Ansbacher Rathaus

Polizei vor dem Ansbacher Rathaus

Der angesehene und verdiente Historiker stürzte vom Sockel

Bosls NSDAP-Mitgliedschaft war der Fachwelt bereits seit 1998 bekannt. 2011 vertraten die beiden international renommierten Mediävisten Peter Herde und Benjamin Kedar in einer wissenschaftlichen Studie die Meinung, Bosl habe sich in der NS-Zeit in hohem Maße systemkonform verhalten und nach 1945 fälschlich als Widerstandskämpfer präsentiert. Herde und Kedar stützten ihre These zum einen mit der Mitgliedschaft Bosls in der NSDAP (Mitgliednummer 1.884.319) und mehreren NS-Organisationen sowie seiner Mitarbeit an dem Projekt der Ahnenerbe-Forschungsgemeinschaft. Zum anderen bewerteten sie Bosls Nachkriegsaussagen, er sei Teil eines Ansbacher Widerstandskreises gewesen, als „Reinvention“ (frei: erneuter Einsatz für Karriere), um seiner Entlassung aus dem Gymnasialdienst durch die Alliierten zu entgehen. Hierfür habe Bosl die Widerstandstätigkeit des standgerichtlich zum Tode verurteilten und gehängten Studenten Robert Limpert als seine eigene ausgegeben. Eine schwere Anschuldigung.

In der Folge erschienen in der Tagespresse einige Artikel, die Bosl als aktiven Nationalsozialisten aus Überzeugung charakterisierten. Im November 2011 kam eine im Auftrag von Bosls Heimatstadt Cham, die ihn 1984 zum Ehrenbürger ernannt hatte, vom dortigen Stadtarchivar angefertigte Studie zu dem Ergebnis, dass die gegen Bosl erhobenen Vorwürfe und die Zweifel an seiner „Widerstandstätigkeit“ größtenteils berechtigt seien. Die Stadt erkannte Bosl daraufhin alle Ehrenzeichen ab (die Ehrenbürgerwürde war schon mit Bosls Tod erloschen) und machte die 2008 erfolgte Benennung eines Platzes entlang der Propsteistraße als „Prof.-Dr.-Karl-Bosl-Platz“ rückgängig. In einem Offenen Brief an den Bosl-Schüler und Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz kritisiert Karl Waibel das Schweigen über Bosls Vergangenheit in Historikerkreisen, was ihm nicht gefiel:

„Trotz seiner tief-braunen Vergangenheit wird Ihr Doktorvater K. Bosl bis in die Gegenwart hinein öffentlich geehrt. […]Die Frage lautet, ist Karl Bosl tatsäch­lich ein ehren­werter Wissen­schaftler, der trotz seines Engagements im und für den NS-Staat, von Ihnen oder von Anderen, öf­fentlich geehrt wer­den kann? Ich meine, dass Sie ihrer persönli­chen und auch der Glaub­würdigkeit der Geschichtswissenschaft einen großen Dienst erweisen, wenn Sie stattdes­sen die Vergangenheit ihres Doktorvaters kritisieren könn­ten. So ist der Eindruck entstan­den, als verdrängten Sie Ihre ei­gene Geschichte.“

Der Briefschreiber erinnert sodann  an den Umgang mit dem Fall Martin Broszat (1926-1989), dem ehemaligen Leiter des In­stitut für Zeitgeschichte (IfZ) in Mün­chen, des­sen Mitgliedschaft in der NSDAP bis ins Jahr 2003 und darüber hinaus verschwiegen worden ist. Weiter schreibt Waibel:

„Es ist befremdlich feststellen zu müssen, dass dieser Fall Bosl kein Einzelfall ist. Er gehört zum weiten Komplex des Verdrängens und Verschweigens deutscher Historiker ob ihres Engagements und der Mitgliedschaften während des NS-Faschismus. Die über Jahrzehnte geübte Geschlossenheit der Gruppe der deutschen Historiker, lässt einen Korpsgeist erahnen, der es in sich hat. Seit dem Historikertag von 1998, als die anti-semitische Vergangenheit der Einflussreichsten deutschen His­toriker von 1933 bis 1945 öffentlich erörtert wurde, wäre es möglich gewesen, das Schweigen zu bre­chen und die Vergangenheit von K. Bosl kritisch zu durchleuchten. Dass ein deutscher Ge­schichtswis­senschaftler vor und nach 1945 in seinem Fach unbehelligt hat arbeiten können, wäre allein keine Meldung Wert, nein, das gesamte Fach ist diskreditiert, nicht nur allein we­gen der auf­gedeckten Fälle seit dem Historikertag von 1998, sondern auch wegen der anhal­tenden Verweige­rung den ge­samten Kom­plex aufzuklären…“

Robert Limpert wurde unter dramatischen Umständen aufgehängt

Das Opfer: Der Student Robert Limpert wurde unter dramatischen Umständen aufgehängt

Mit 19 Jahren bezeugte Robert Limpert Widerstand

Wer war der Student Robert Limpert, dessen Widerstandstätigkeit in Ansbach, für die er in den letzten Kriegstagen sterben musste, sich Bosl als die seine aneignete? Robert Limpert, keine 20 Jahre alt, kappte in den letzten Kriegstagen in Ansbach die Telefonleitungen eines aufgegebenen Gefechtstandes der Wehrmacht, um das weitere sinnlose Blutvergießen in der Bevölkerung durch Sabotage zu beenden. Dafür wurde er in Ansbach vor ein Standgericht gestellt und quasi in letzter Minute vor Kriegsschluss aufgehängt. Über den Fall Limpert/Bosl schrieb Patrick Bahners am 6. Juli 2011 unter dem Titel „Die Legende eines Humanisten“ in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Auszüge):

 „Zwischen dem 7. und dem 17. April druckte und verteilte Limpert drei Flugblätter, mit denen er die Ansbacher aufforderte, auf die Verteidigung der Stadt zu verzichten. Am 18. April, einem Mittwoch, wurde mit den Amerikanern gerechnet. Die Behörden waren abgezogen worden, die Wehrmacht entfernte sich, aber der am 27. März als “Kampfkommandant” eingesetzte Luftwaffen-Oberst Dr. Ernst Meyer war fest entschlossen, die Stadtbevölkerung befehlsgemäß in den Untergang zu treiben. Der Schüler Limpert ging in aller Frühe aufs Rathaus, um den in der Stadt verbliebenen dritten Bürgermeister Albert Böhm zur friedlichen Übergabe zu überreden. Böhm willigte ein, Limpert eilte davon, um die Nachricht zu verbreiten. Als der Kampfkommandant davon erfuhr, erschien er auf dem Rathaus und drohte den auf dem Marktplatz versammelten Ansbachern mit schärfsten Repressalien.

Limpert entschloss sich, das Telefonkabel zu zerschneiden, das den Gefechtsstand des Kommandanten mit der Truppe verband. Diese Tat gelang ihm, aber er wusste nicht, dass die Kommandostelle in der Nacht zuvor verlegt worden war. Zwei Hitlerjungen beobachteten ihn und meldeten ihn der Polizei. Er wurde in seinem Elternhaus verhaftet, wo zwei der Flugblätter entdeckt wurden, und aufs Rathaus gebracht. Dort erschien erneut Oberst Meyer, der ein Standgericht einsetzte, aber keine Verhandlung abhalten ließ und selbst das Urteil sprach. Eigenhändig erhängte der Kampfkommandant den Schüler an einem Haken in der Rathausmauer.

Als Meyer die Schlinge knüpfte, gelang Limpert zunächst die Flucht. Nach 75 Metern wurde er eingefangen. Meyer zerrte ihn an den Haaren zum Rathaus zurück. Im ersten Versuch riss der Strick. Der Oberst knüpfte eine zweite Schlinge. Als Limperts Tod eintrat, waren seit dem Eintreffen des Kommandanten auf dem Rathaus nicht mehr als fünfzehn Minuten vergangen. Am späten Nachmittag erschienen die Amerikaner auf dem Marktplatz und schnitten den Leichnam vom Haken.“

Drei Tage später wurde Robert Limpert begraben. Die Grabrede hielt der Geschichtslehrer des Ansbacher Gymnasiums, Dr. Karl Bosl. Bei der Errichtung des Grabkreuzes hielt Karl Bosl am 28. September 1945 eine zweite Totenrede auf Limpert. Ihr Text ist im Ansbacher Stadtarchiv erhalten. Der Redner sprach den Toten mit „Du“ an: Am Leitfaden der Ideale von Frömmigkeit, Liebe und Keuschheit beschwor er den „höheren Sinn“ dieses „Märtyrertodes“ für den moralischen Wiederaufbau Deutschlands.

Amerikanische Militärregierung in Ansbach. Sie beglaubigte die falschen Angaben Bosls

Amerikanische Militärregierung in Ansbach. Sie beglaubigte die falschen Angaben Bosls

US-Entnazifizierungs-Offizier bescheinigte Bosl Widerstand

Im Spruchkammerverfahren legte Bosl gegen seine Einstufung als „Mitläufer“ Einspruch ein und begründete ihn mit seinen politischen Widerstandshandlungen im Dritten Reich. Er machte geltend, dass er „unter Gefährdung von Freiheit, Leben, Familie und Beruf das Regime aktiv bekämpfte und in entscheidender Stunde, da eine ganze Stadt und ihre Einwohner um Sein oder Nichtsein bangten“ (Ansbach), sich „für ihre Rettung unter Hintansetzung meiner Person und Familie einzusetzen bereit war und mit einigen anderen Freunden dadurch zur Rettung Ansbachs vielleicht sogar entscheidend beitragen konnte“. Bosl hatte Erfolg. Er kam als „entlastet“ aus dem Verfahren.

Zuständig für die Entnazifizierung in Ansbach war der US-Offizier Frank Dominic Horvay, ein ungarischer Emigrant, der in Alabama und St. Louis Germanistik studiert hatte. Er stellte Bosl am 12. Januar 1946 das Zertifikat aus, dass er unter Lebensgefahr Flugblätter verteilte und in der Nacht vom 17. auf den 18. April 1945 das Fernmeldekabel des Kampfkommandanten zerschnitten habe. Bosl hatte sich also gegenüber dem amerikanischen Offizier genau der Taten gerühmt, deretwegen Limpert hingerichtet worden war. Noch einmal die FAZ vom 6. Juli 2011:

„Es muss eine gehörige Kaltblütigkeit dazu gehört haben, dem amerikanischen Offizier Horvay, den der schlecht verhehlte Antisemitismus der Deutschen anwiderte, die Legende zu präsentieren. Der Blutzeuge Limpert zeugte für den Studienrat Bosl, dem er aus dem Grab nicht mehr widersprechen konnte.“

Weitere Veröffentlichung in Jerusalem

In der Schriftenreihe des Richard-Koebner-Zentrums für deutsche Geschichte der Hebräischen Universität Jerusalem erschien 2011 ein 146-seitiges englischsprachiges Heft mit dem Titel „A Bavarian Historian Reinvents Himself: Karl Bosl and the Third Reich”. In ihm  führen Benjamin Z. Kedar und Peter Herde den quellenkritischen Beweis, dass die Geschichte des Widerständlers Bosl im Kern als nachträgliche Erfindung anzusehen ist. Um Robert Limpert gab es einen kleinen Kreis von Vertrauten und Helfern seines Alters. Als Kedar zwei dieser Zeitzeugen interviewte, waren sie entgeistert zu erfahren, dass Bosl sich als Spiritus Rector ihrer Gruppe ausgegeben hatte.

Gedenktafel am Haus in der Ansbacher Kronenstraße

Gedenktafel am Haus in der Ansbacher Kronenstraße

Nachwirken und Kontroverse

Robert Limperts Henker, Oberst Dr. Ernst Meyer, wurde nach Kriegsende wegen Totschlags zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren verurteilt und nach sechs Jahren vorzeitig entlassen. Wie seine Tochter schrieb, habe er seine Tat nie bereut. An Robert Limperts Geburtshaus in der Ansbacher Kronenstraße 6 wurde 1970 eine private Gedenktafel für Robert Limpert angebracht. Eine weitere Tafel befindet sich seit 1985 in einer Kapelle der Pfarrkirche St. Ludwig. Im Gymnasium Carolinum wurde eine Gedenktafel angebracht. Die Stadt Ansbach konnte sich aus verschiedenen Gründen bis in die 1980er-Jahre nicht dazu entschließen, Robert Limperts Einsatz entsprechend zu würdigen. Erst auf Druck einer Schülergruppe der Luitpoldschule in Ansbach entschloss sich der Ansbacher Stadtrat nach kontroverser Debatte mit nur einer Stimme Mehrheit zu einer öffentlichen Ehrung Robert Limperts. Die Ansbacher Regionalgruppe der Bürgerbewegung für Menschenwürde in Mittelfranken verleiht seit 2002 den „Robert-Limpert-Preis für Zivilcourage“.

Unterschiedliche Einschätzungen unter Historikern

Prof. Manfred Treml (Rosenheim) promovierte 1976 bei Karl Bosl und trat 1990 dessen  Nachfolge als Erster Vorsitzender des Verbandes bayerischer Geschichtsvereine an. Im „Bayernspiegel“ (1-2/2012) schreibt er in einem längeren Aufsatz über seinen Doktorvater Karl Bosl:

„Ein ,investigativer Furor’ (Werner K. Blessing) hat Karl Bosl die Ehre genommen und mit der Verurteilung seiner Person zugleich Gericht gehalten über eine ganze Generation. Der renommierte Mittelalterhistoriker Matthias Werner hat vor diesem Vorgehen zurecht gewarnt: ,Pauschalurteile über eine ganze Disziplin und deren Vertreter fördern weder die Erkenntnis noch werden sie – gerade in Verbindung mit den beanspruchten moralischen Kategorien – der Verantwortung gegenüber einem derart sensiblen und insgesamt noch zu wenig erforschten Thema gerecht.’ Es ist nicht die Aufgabe des Historikers zu richten. Er muss sich vielmehr bemühen, zu verstehen, zu erklären und dann abwägend zu urteilen, ,sine ira et studio’, ohne persönliche Voreingenommenheit und ohne vorgefasste Meinung. Mit dieser wissenschaftlichen Maxime sollten auch Leben und Werk Karl Bosls betrachtet und bewertet werden, ohne Beschönigung, aber auch frei von voreiligen Schuldzuweisungen.“

Der britische Historiker Ian Kershaw würdigte Robert Limperts Widerstand 

Ian Kershaw beschreibt das Schicksal Robert Limperts in seinem Buch „Das Ende: Kampf bis zum Untergang“ und resümiert:

Robert Limperts Widerstands-Flugblatt

Robert Limperts Widerstands-Flugblatt in Ansbach

„Wie diese grausige Episode zeigt, funktionierte das NS-Regime mit seiner terroristischen Repression bis zum Schluss. Doch es ging dabei nicht nur darum, dass der fanatische NS-Kampfkommandant, der Oberst der Luftwaffe Dr. Meyer, rücksichtslos einen vermeintlichen Verräter und Saboteur erledigte, dass ein Vertreter des Regimes mit roher Gewalt seinen Willen durchsetzte. Selbst im Angesicht eines derartigen Fanatismus hätten die Polizisten, denen bewusst war, dass die Amerikaner in Kürze in die Stadt einmarschieren würden, tätig werden können, um sich künftige Schwierigkeiten mit der Besatzungsmacht zu ersparen, indem sie die Verhaftung und das Verhör Limperts in die Länge zogen. Stattdessen entschieden sie sich dafür, sich an ihre Vorschriften zu halten und so zügig wie möglich ihre Pflicht zu erfüllen, so wie sie sie auffassten, und auch weiterhin als untergeordnete Hüter eines Rechts zu fungieren, das – so hatten sie es zu diesem Zeitpunkt, wie sie später behaupteten, gesehen – jetzt nicht mehr war als der Ausdruck des eigenmächtigen Willens des Kommandanten.

Gleiches ließe sich für den Leiter der örtlichen Zivilverwaltung sagen. Auch er hätte seine Erfahrung und seine Kenntnis von dem unmittelbar bevorstehenden Ende der Kampfhandlungen dazu benutzen können, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Stattdessen tat er, was er konnte, um den Ablauf zu beschleunigen und mit dem Kommandanten zu kooperieren. Die Einwohner der Stadt, die den Weg auf den Rathausplatz gefunden hatten und sahen, wie Limpert flüchtete, hätten ihm an diesem Punkt zu Hilfe eilen können. Stattdessen unterstützten einige von ihnen sogar die Polizei darin, den sich wehrenden jungen Mann wieder an seinen Hinrichtungsort zu schleppen. Demnach war es unter diesen extremen Umständen und in diesen letzten Augenblicken des Krieges auf allen Ebenen, jedenfalls was Ansbach anging, so, dass diejenigen, welche Macht ausübten, nach wie vor im Interesse des Regimes arbeiteten – und dass es ihnen dabei nicht an Unterstützung durch die Öffentlichkeit mangelte.

Vorfälle, die so erschütternd waren wie dieser, bei denen Einwohner den Versuch unternahmen, eine nutzlose Zerstörung in letzter Minute zu verhindern, und dabei brutale Vergeltung erfuhren, während andere immer noch bereit waren, die Funktionäre des Regimes bei ihrer Repression zu unterstützen, waren in diesen letzten Phasen des schrecklichsten Krieges in der Geschichte keine Seltenheit. Dutzende anderer Fälle ließen sich als Illustration dafür anführen, dass der Terror des Regimes auch weiterhin funktionierte und sich jetzt, in den letzten Monaten des Konflikts, gegen die eigenen Bürger ebenso richtete wie gegen ausländische Arbeiter, Häftlinge, Juden und andere, die es schon seit Langem als Feinde betrachtete.“  

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Eine persönliche Nachbemerkung des Verfassers: In der ersten Hälfte der 1960er-Jahre war ich in München. Dort besuchte ich hin und wieder als Gasthörer Vorlesungen von Prof. Karl Bosl über das bayerische Herrscherhaus Wittelsbach. Vor allem blieben mir seine lebhaften und absolut eingängigen Vorlesungen über das die Generationen übergreifende erbliche Krankheitsbild dieser Herrscherfamilie in Erinnerung, das sich über Jahrhunderte hinweg bis zur populären Auswirkung bei Ludwig II. hinzog. Immer wenn über Krankheitsbilder von Despoten wie Stalin und Hitler diskutiert wurde, erzählte ich, was ich darüber von Bosl über die Wittelsbacher gelernt hatte. Daher las und hörte ich mit großer Betroffenheit 2011 von der schrecklichen Begebenheit der letzten Kriegstage in Ansbach und wie der von mir geschätzte Professor, obwohl ich ihn kaum kannte, unlauter seinen Vorteil daraus zog. Er stürzte auch bei mir vom Sockel.

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Quellen: Patrick Bahners „Die Legende eines Humanisten“ in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juli 2011. – Matthias Berg „Lehrjahre eines Historikers. Karl Bosl im  Nationalsozialismus in: „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, Heft 1/2011, Metropol Verlag, Berlin 2011. – Benjamin Z. Kedar und Peter Herde: „A Bavarian Historian Reinvents Himself: Karl Bosl and the Third Reich”, Jerusalem 2011. – Ian Kershaw „Das Ende: Kampf bis in den Untergang – NS-Deutschland 1944/45“, DVA, Stuttgart 2011 (4. Auflage). – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (zu Bosl,2013) Manfred Treml: „War Karl Bosl ein Nazi-Historiker?“, Aufsatz in „Bayernspiegel“ 1-2/2012. – Literatur: Werner K. Blessing: „Karl Bosl im Blick eines Schülers. Erinnerungen zum 100. Geburtstag“, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 72 (2009). – Manfred Treml (Red): „Karl Bosl. Eine Bibliografie“, Hrsg. vom Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg 1996.

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